Ein gescheiterter
Anwerbeversuch der Stasi in einem konspirativen Büro in den "Hacke`schen Höfen" in Berlin (Ost) - Hauptstadt der DDR von Gustave Roosen (Aktualisiert 26. 04. / 2002) Ich hatte mir Mitte der 60-er Jahre, zusätzlich zu meinem Einkommen aus einer Handelsvertretung, eine kleine Importagentur in Hamburg aufgebaut, vorwiegend Artikel aus Japan, für Werbezwecke geeignet und war dabei, die Angebotspalette auf technische Artikel auszuweiten. Da unsere Absatz- märkte, die größeren jedenfalls, ihre eingespielten Direktverbindungen nach Japan, Hongkong und Singapur mit eigenen Einkaufsagenturen vor Ort unterhielten und stets über Marktneuheiten sofort unterrichtet wurden, rechnete ich mir auf diesem Sektor so gut wie keine Chancen aus. Ich versuchte mein Glück bei den DIA-Stellen (Deutscher Innen- und Aussenhandel, DDR) in Ost-Berlin,
riskierte die Kosten für mehrere Flüge von Hamburg nach West-Berlin und einen Leihwagen zum Besuch der für mich infrage kommenden Dienststellen. Besucher fuhren diese Stellen ab, meldeten sich - wie
bei uns im Westen auch - höflich bei den entsprechenden Dezernenten an und warteten in den Lysol und Schmierseife duftenden Räumen. Empfangen wurde man in der Regel von älteren Frauen, von denen man zunächst annehmen mochte, daß es
sich um eine Urlaubsvertretung handele, aber nein, sie hatten die Kompetenz, sich anzuhören, was der Besuchszweck sei, Prospekte und Unterlagen, liebend gerne auch Muster und Proben, entgegenzunehmen und einem zu versichern,
man würde von ihnen hören, wenn Bedarf zu den angebotenen Waren bestünde.
Erbetene Auskünfte über Zahlungs- modalitäten im Beschaffungsfall, ob Kontingente an harter Währung keine Probleme aufwürfen und ähnliche, für einen Lieferanten wesentliche Informationen, wurden
garnicht erst erteilt, Versuche zu Recherchen in dieser Art abgeblockt. Eines Tages erhielt ich Post aus Ost-Berlin, von einer Firma HUBERT KG "E-M-A" Export - Messen - Ausstellungen, höflich formuliert - "man hätte von befreundeter Seite von meinen Bemühungen gehört, in Geschäftsverbindung mit den Dienststellen des Innen- und Aussenhandels zu treten und wolle sich interessehalber einmal, unverbindlich, mit mir treffen". Dazu schlug man einen Treffpunkt auf der bald stattfindenden Leipziger Messe vor, Termin und Treffpunkt waren präzisiert. Eine Autopanne auf dem Weg nach Leipzig ließ mich die Fahrt abbrechen und den Termin ungewollterweise platzen, wofür ich mich später, von Hamburg aus, entschuldigte. Es folgte ein weiteres Schreiben mit einem neuen Terminvorschlag, diesmal in Ost-Berlin, Adresse Rosenheimer Strasse 40/41. Also riskierte ich noch einmal Reisespesen für Flug und Leihwagen und traf pünktlich an dem vereinbarten Treffpunkt ein. Es handelte sich um einen größeren Gebäudekomplex mit einer riesigen Toreinfahrt, hinter der sich mehrere Höfe hintereinander anschlossen. Ich folgte der Wegbeschreibung - 1. Hof, 2. Aufgang, im 3. Stock, zu der - ich glaube mich zu erinnern - eine außen angebrachte Eisentreppe führte. An einer Treppen-Plattform auf mittlerer Höhe ging eine Eisentüre ab, ähnlich einer Luftschutzkeller-Türe, und dann folgte ein langer Gang durch das dunkle Gebäude. Eine Tür auf dem Gang stand angelehnt offen, durch den Türspalt schien etwas Licht - man schien mich hier zu erwarten. Ich wurde von dem Herrn begrüßt, der seine Briefe mit "Schepe" unterzeichnet hatte und es fiel mir sofort merkwürdig auf, daß dieses "Büro" nur einen kahlen Schreibtisch, ein Uralt-Telefon, einen Aktenschrank und einen kleinen Besuchertisch mit zwei Stühlen besaß; keine Sekretärin, keinen Schnipsel Papier, keine Ablage-Schale, keine Utensilien, die auf Büro-Tätigkeit hätte schließen lassen können, war vorzufinden. Merkwürdig! Ein "getürktes", konspiratives Büro? Ich hatte sowas noch nie erlebt. Ich war jetzt hellhörig, alle Alarmglocken schellten bei mir - irgend etwas schien hier nicht koscher zu sein aber ich überspielte die Verlegenheit, die sich einstellen wollte und brachte mein Anliegen vor, in eine Geschäfts- beziehung eintreten zu wollen und offerierte mitgebrachtes Prospektmaterial von techn. Artikeln. Es handelte sich dabei um hochwertige Tonbandanlagen japanischen Ursprungs, ITV-Kamera's, Meßinstrumente für Metalloberflächen und vieles andere mehr. Dabei erläuterte ich, wie ich mir den ersten Ablauf einer Geschäftsanbahnung vorstellte. Auf meine Fragen nach Finanzierung von Sendungen eröffnete mir Herr Schepe, daß hochrangige Institutionen dahinter stehen würden , für die die Bereitstellung von Valuta überhaupt kein Problem darstelle und die Beschaffung von angefragten Positionen höchste Priorität genössen. Geschäfte auf Transfer-Abwicklung über Drittländer auf Switch-Basis [eine Variante in der Finanzierung von Importsendungen] oder andere Umwege, von mir nachgehakt, würden entfallen. Sein Interesse fokussierte sich auf Großrechenanlagen aber auch an portablen Rechnern, wie sie z.B. in Raumkapseln Anwendung fänden etc. Er meinte, daß deutsche Hersteller, wie Siemens, Telefunken u.a. auch in dieser Richtung arbeiteten und erkundigte sich, ob ich auch zu diesen Firmen Verbindung hätte. Auf meine Frage, ob denn solch' große Objekte von ihnen beschafft werden könnten, sagte er, daß die Großobjekte über die DIA abgewickelt würden. Seine Firma und seine Hinter- männer wären im Rahmen des gesamten technischen Bereichs naturgemäß auch an solchen Geräten interessiert, die bei uns auf der Embargoliste stünden und auf meinen Einwand über das enorme Risiko solcher Trans- aktionen bedeutete er mir, daß "sie" erst man an technischen Leistungs- beschreibungen, Betriebs- anleitungen etc. interessiert seien, selbst wenn sich dann herausstellen sollte, dass die betreffenden Geräte selbst nicht mehr benötigt bzw. beschafft würden. Für die Beschaffung derartiger Unterlagen würden Beträge von 1000, 2000 Mark, event. mehr, gezahlt werden. Aber Hallo!!! Jetzt war die Katze aus dem Sack - was ich befürchtet hatte. "Herr Schepe, ich bin grundsätzlich an seriösen Geschäftsabwicklungen interessiert und auch bereit, eine Provision für Sie, zahlbar in Valuta auf eine Bank in West-Berlin oder sonstwo, einzurechnen, aber Spionage - das ist nichts für mich; sehen Sie mein gut gemeintes Angebot als ernsthaften Vorschlag". Er schüttelte den Kopf, wie wenn ich ihn missverstanden hätte - "nein, nein, das sehen wir nicht so...". Inzwischen schellte das Telefon auf seinem schmucklosen, verwaisten Schreibtisch und aus seinen kurzen Antwortfetzen entnahm ich, dass sich sein Gespächspartner erkundigte, ob ich schon da sei und wie sich das Gespräch entwickele usw. Es wurde Mittag - Zeit zu einem Lunch. Wir verabredeten einen weiteren Treff zu einem späteren Zeitpunkt und ich fuhr alleine in`s Ganymed - ein Restaurant, wo man gut essen konnte. Ich fühlte instinktiv eine latente Gefahr und setzte alles daran, keine Schwierigkeiten zu provozieren, um einer eventuellen Festnahme durch zivile Stasi-Leute oder VoPo so zu entgehen und heil wieder aus Ostberlin rauszukommen. Bei dem zweiten Treffen ließ Herr "Schepe" nun alle Tarnung fallen und eröffnete mir eine Liste von "begehrenswerten" Unterlagen, die ich ihm innerhalb von 14 Tagen besorgen solle - es waren dies: Ich verabschiedete mich nun schnell mit Hinweis auf den Termin meines Rückfluges und kam mit dem West- Berliner Leihwagen wieder heil über die Grenze zurück, flog zurück und wunderte mich nur über die an den Tag gelegte Naivität dieses Herrn "Schepe" und seiner Hintermänner in seinem konspirativen Büro. Wie die sich wohl vorstellten, auf welche Art und Weise man als bei diesen Firmen völlig unbekannte Person an solche Unterlagen kommen könnte? Bei denen schrillen doch sofort die Alarmglocken für den Werkschutz und mög- licherweise noch andere Abwehrstellen. "Wenn Sie wüssten, Herr Roosen, wer vorher schon hier war und wie dick die heute im Geschäft bei uns sind..." - war nun wirklich kein Argument, was auch nur im Entferntesten für eine Sekunde des Nachdenkens darüber wert gewesen wäre... Jetzt also schon gelinder Druck! Ich wollte das neue Jahr nun ohne irgendwelche Belastungen beginnen und war mir klar darüber, dass das Projekt "Geschäftsmöglichkeiten mit der DDR" total gescheitert war. Dementsprechend ernüchtert und völlig demotiviert, setzte ich mich hin und antwortete: "30.Dezember 1966 Mein Lieferprogramm und Liefermöglichkeiten vorwiegend japanischer Geräte sind bekannt; sollten konkrete Kaufabsichten
für Transistorgeräte bestehen, stehe ich mit Lieferungen gerne zur Verfügung. In Anbetracht der bisher vergeblich aufgewen- deten Mühen und Reisen möchte ich in Zukunft - aus
rationellen Gründen - erst dann eine Anfrage in Bearbeitung nehmen, wenn es sich um ein Auftrags- volumen von nícht unter US$ 10.000 pro Lieferung handelt und mir meine Bank das Vor- liegen eines dementsprechend zu meinen Gunsten eröffneten,
unwiderruflichen Akkreditivs bestätigt hat. Ich nahm nun nicht nur billigend, sondern mit gewisser Ernüchterung in Kauf, daß zukünftige Besuchsreisen in die DDR mit unkalkuliertem Risiko für mich verbunden wären und verschob solche Besuche, die für mich sowieso nicht zwingend notwendig waren, ohne Bedauern auf unbestimmte lange Zeit. Keine Festnahmen bei versuchter Einreise, keine Erpressung, keine Verstrickung in "zufällige" aber sorgfältig eingefädelte spezielle Kontakte bei Bar-Besuchen etc. Die Erinnerung an die schicke Blondine, in einer der DIA-Büros, bei der plötzlich der Rolladen runterging als sie einen anscheinend wenig geschätzten westlichen Besucher ausmachte, der sie eine Sekunde bewundernd anschaute, reichte auch völlig.Wäre der BND oder Verfassungsschutz auf mich zugekommen, so hätte ich auf die Korrespondenz und meine Akten-Notiz verweisen und darüber darlegen können, daß keinerlei begründete Verdachtsmomente zu einer konspirativen Tätigkeit meinerseits bestanden hätten - im Gegenteil. Ich war Anfang der 90-er Jahre erst- mals wieder in der ehemaligen DDR und Berlin und suchte die Adresse mit dem konspirativen Büro auf - es waren die "Hacke`sche Höfe", inzwischen völlig anders gestaltet, mit Restaurant und so. Ob wohl noch ein konspiratives Büro in diesem Komplex existiert? Ich habe bis jetzt darüber geschwiegen, ich wollte mir keinen unnötigen Ärger einhandeln und nachdem jetzt die Voraussetzungen zum geschilderten Vorgang untergegangen sind, denke ich an dieser Stelle im Nachhinein an Herrn Markus Wolf, Herrn Dr. A. Schalck-Golodkowski und auch Herrn Hellenthal, den ehemaligen Chef des bundesdeutschen Abwehrdienstes, dem die Kollegen "von drieben" in manchen Dingen überlegen und gegenüber unseren Einrichtungen erfolgreicher gewesen sein mögen - wenn man den Presseberichten zum Prozess gegen Herrn Markus Wolf und zu anderen Vorgängen Glauben schenken darf. Dann verstand ich trotzdem diese Diskrepanz zwischen mehr als plumpen und unsensiblen Anwerbeversuchen und anderseits deren nachgewiesener Erfolgsquote nicht. Möglich vielleicht, daß in der Gauck-Behörde bei Frau Birthler Kartei-Unterlagen vorhanden sind, mit Eintrag dieses Alias- und des zugehörigen Klar- namens "Schepe". Dieser dürfte aber inzwischen schon biblisches Alter erreicht haben. Seine eigene Statistik zu Anwerbe(miss)erfolgen interessiert wohl niemanden mehr.Über einen Eintrag von Ihnen in meinem Gästebuch würde ich mich freuen! Wer sich über Stasi etc. informieren möchte, klinke sich ein unter http://www.bstu.de/
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